Der Krake, ein Mythos der Vergangenheit (Pierre Denys de Montfort’s “Poulpe Colossal”)
USP oder vom Irrglauben einzigartig sein zu müssen
Gerade habe ich wieder einige Strategieberatungen bei Mittelständlern durchgeführt. Während der Workshops kommen wir natürlich auch des Öfteren auf die sog. Alleinstellungsmerkmale (oder engl. USPs = Unique Selling Propositions) zu sprechen. Und ich stelle immer wieder fest: Geht es um die USPs, bricht die schiere Verzweiflung aus. Denn Einzigartigkeiten, die der Kunde wahrnimmt und daraufhin seine Kaufentscheidungen trifft, sind auch in den besten Unternehmen selten zu finden.
Je länger ich mich mit dem Thema USP beschäftige, desto mehr sehe ich, dass hier ein falsches Ideal verfolgt wird. Das kann man selbst schnell nachprüfen: Welche der Geschäfte in ihrer Umgebung habe einen USP? Vermutlich kaum eines. Der Bäcker, der Kiosk, der Steuerberater, die Autowerkstatt, der Supermarkt: Alle leben recht gut, obwohl sie nicht allein und einzigartig im Markt sind. So viele Ausprägungen von USPs existieren eh nicht: Unternehmen differenzieren sich über einen Preis-, Zeit- oder Qualitätsvorteil. Etwas anderes ist kaum möglich und alles zugleich schon gar nicht.
Selbst die Marktführer haben keinen USP
Ein Kardinalfehler, den ich immer wieder bei Gründern sehe, ist der Versuch etwas – natürlich Revolutionäres – auf den Markt zu bringen, was vorher noch nie dagewesen ist. Damit hätte man natürlich eine unglaublich starke USP. Aber der Erfolg mit so einem Ansatz setzt voraus, dass man sich den Markt ja erst einmal erschließen muss. Im häufigsten Falle sind die Innovatoren von einst jedoch nicht die Marktführer von morgen, denn es ist viel einfacher für die in den Markt folgenden Unternehmen eine bestehende Idee zu verbessern, als eine neue zu entwickeln und zu propagieren. Oder denken Sie an die großen Marktführer: Apple hat nicht das Smartphone erfunden, Google nicht die Suchmaschine und Ikea nicht die SB-Möbel. Diese Einzigartigkeit war es nicht, die sie erfolgreich werden ließ. Aber diesen Unternehmen ist es gelungen, einen oder mehrere Aspekte ihrer Leistung herauszustellen, zu optimieren und weltweit bekannt zu machen.
Was ist mein USP als Marketingberater?
Und wie sieht es mit meinem USP als Marketingberater aus? Da wäre die räumliche Nähe zu meinen Berliner Kunden, aber das können die rund 10 anderen freien Marketingberater und zahlreichen Agenturen in Berlin auch bieten. Vom Preis her liege ich im mittleren Segment, also auch kein Grund, mich zu beauftragen. Erfahrung und Know-how? Meine Ausrichtung auf B2B? Ja, dadurch dass ich den Job schon einige Jahre mache, habe ich ein großes fachliches und methodisches Wissen und viel Erfahrung im Bereich B2B gewonnen. Aber damit bin ich auch nicht allein. Was bleibt, ist natürlich meine Persönlichkeit. Beratung ist ein Geschäft, das auf Vertrauen beruht und mit meinen Kunden habe ich eine persönliche Basis, die nicht austauschbar ist. Meine Kunden passen zu mir und ich zu ihnen.
Eine Alternative zum USP
Ist ein Nachdenken über den USP also vergeudete Mühe? Nicht wirklich, aber man sollte die Frage anders formulieren, in diesem Falle sogar offener und fokussiert auf die eigenen Stärken: Warum kauft ein Kunde bei uns? Und warum kommt er eigentlich wieder? Diese kundenzentrierte Sicht bringt die Strategiediskussion weiter als die Suche nach einer Position, bei der man allein da steht. Denn wie ich gern sage: Ein Markt ohne Wettbewerber ist häufig keiner.
Lieber Herr Peter,
ein schönes Zusammentreffen, da ich mich auch gerade mit Marketingmythen befasse und bei den Solo-Unternehmern eine ähnliche Erfahrung mache: nahezu Panik bei der Frage, was einen Coach, Fitness Trainer etc. an anderen unterscheidet. Ich komme immer mehr dazu, die Gesamterfahrung für die Kunden in den Vordergrund zu rücken. Dort kann dann alles einfließen und sich mitienander verbinden. Und speziell bei Solo-Unternehmern spielt natürlich die Persönlichkeit eine entscheidende Rolle. Insofern: Die Ausrichtung auf die Kunden finde ich auch wichtiger als das fast krampfhafte Bemühen, ein einziges Alleinstellungsmerkmal zu finden.
Hallo Enno,
diese Panik wenn es darum geht den USP, die Einzigartigkeit, zu definieren kenne ich auch. Da “Einzigartigkeit” i.d.R. verbunden wird mit dem was du beschreibst: DIE Innovation im Gepäck zu haben, etwas zu bieten, was sonst niemand hat. Und das wir eben gedacht auf der Produkt- bzw. Leistungsebene.
Dabei sind wir eh alle einzigartig – wir müssen gar nichts dafür tun. Einzigartige Persönlichkeiten. Und selbst wenn wir Brötchen verkaufen, oder Menschen beraten! wie so viele andere auch, so tun wir es doch auf unsere Art.
Ich finde es lohnt sehr wohl diese Einzigartigkeit, die uns eh innewohnt, zu betrachten und zu definieren – auf der persönlichen Ebene – um uns bewusst zu machen welche Kunden zu uns passen und mit wem uns arbeiten Spass macht.
Eine Kollegin hat den USP mal mit UnserSymphathiePunkt abgekürzt. Das finde ich sehr passend.
Viele Grüße. Tanja
Ich finde hier die alternative ‘Nutzenversprechen’ ganz gut. Also: “Was hab ich davon, wenn der Enno mich berät” anstatt “was kann ich von Enno lernen und sonst von keinem?”
Aber es kann ja TROTZDEM sein, dass man einen USP schon hat und ihn nicht ausreichend hervorhebt. Und, wenn man es ganz ‘schwach’ angeht, ist jede emfehlkung aso ein USP, denn: DIESER Dienstleister wurde mir empfohlen, und kein anderer.
Hallo Enno,
der USP im Sinne von Einzigartigkeit erscheint mir als ehrgeiziges (Fern-)Ziel, von dem man nicht weiß, ob man es erreicht. Außerdem ist eh nur das einzigartig, was Kunden als einzigartig betrachten.
Reduziert man den USP darauf, den Kunden einen Verkaufsvorteil zu bieten, der keine (echte!) Innovation sein muss, hat man viel gewonnen. Apropos Innovation: Echte Innovationen sind doch die Ausnahme, auch wenn der Begriff gern und oft verwendet wird. Daher die vielen Flops. Und so ist es doch auch mit der Einzigartigkeit. Sie anzustreben, verursacht hohe Kosten. Doch ist sie meist kurzlebig und wird rasch kopiert. Und schon braucht es einen neuen Vorteil, wenn man die Nase weiterhin vorn haben will.
Also ist es doch gefährlich, nach Einzigartigkeit und Innovation zu streben. Denn jedes Budget ist begrenzt. Häufig ist doch bereits viel getan, wenn man vorhandene WettbewerbsNACHTEILE ausgleicht…
Auch für uns, die wir beraten und realisieren, ist gesünder, den Sinn für die Realität und das Machbare zu behalten, um sich nicht auf einen Schleudersitz zu begeben. Daher frei nach Blanchard und Bowles:
1. Vision; was soll erreicht werden
2. Analyse; was will der Kunde
3. Ziel; Kundenerwartung erfüllen plus 1 %
Nur plus 1 %, denn bereits dieses eine Prozent schmälert den Gewinn. Nur plus 1 %, weil man diesen Nutzen dauerhaft bieten (können) muss. Und nur 1 %, weil man immer erst hinterher weiß, ob gewünschte Effekte tatsächlich eintreten. Daher kann und sollte die Analyse durchaus ergeben, die Vision auf das Machbare und das wirtschaftlich Vertretbare zu trimmen.
Mein Fazit: Gelingt es nicht, mit gesundem Realismus von Sinnhaftigkeit bzw. Sinnlosigkeit zu überzeugen, ziehe ich mich zurück. Das reduziert hier und da meine Auslastung, doch das ist auch gut so…